Nachtwache

Es ist dunkel in der Klosterkirche. Nur ein kleines Lämpchen am Lesepult streut einen wenig Licht auf den kalten Steinboden. In die Dunkelheit eingehüllt sitzen Gestalten. Ihre Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Ihr Atem hörbar, so still ist es. Es sind Mönche, die inmitten der Nacht wachen. Hingebungsvoll warten sie auf das Licht. Und in ihrer Nachtwache, dem Gebet der Vigil, erleben sie „eine Dunkelheit, die leuchtet“ (D. Steindl-Rast).

Nachtwache

Nachtwache

„Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet,“ sagte Jesus am Gründonnerstag zu seinen Jüngern. Dieser Aufforderung folgen Menschen wie diese Mönche, wenn sie eine Nachtwache halten. Allgemein ist Wachsamkeit eine der Grundhaltungen des christlichen Glaubens. Wachen meint dabei nicht nur das Gegenteil von Schlafen, sondern „ein wartendes Ausschauen und Wache halten“ (F. Rienecker). Wie ein Soldat in biblischen Zeiten auf einem der zahlreichen Wachtürme hoch über Jerusalem die Stadt genaustens beobachtete, so sind wir herausgefordert unser Herz zu bewachen, unsere Seele zu behüten. So wie ein Diener in der Antike schon einmal die Nacht durchmachte, um seinen verreisten Herrn wiederzuerwarten, so warten wir auf Gottes Kommen und Handeln in uns und in dieser Welt.

Irgendwie verschwendete Zeit, oder? Nachts wachen. Weder produktive Arbeit noch wohlverdiente Nachtruhe? In einer Nachtwache jedoch können wir die innere Haltung der Wachsamkeit ganz besonders einüben. Gerade nachts „uns Zeit zu nehmen, außerhalb von Sachzwängen oder sonstigen Anforderungen des Tages“ (Steind-Rast). Und vielleicht ergeht es uns dann irgendwann wie jener Verliebten, die ausrief: „Ich schlief, doch mein Herz war wach. Horch, mein Geliebter klopft“ (Hoheslied 5,2).

Probieren Sie es aus. Stellen Sie sich den Wecker einmal etwas früher, dann wenn es noch dunkel ist. Oder bleiben Sie an einem Abend noch ein wenig länger auf. Und wachen Sie. Und warten Sie. Ihre Dunkelheit kann zu leuchten beginnen.

sgd