An einem nasskalten Tag sitze ich am Tisch mit mehreren Personen und schaue nach draußen in die dämmrige Stimmung. Das Gespräch am Tisch unterstreicht diese trübe Atmosphäre. Seit längerer Zeit geht es darum, zu einem Konsens zu finden. Gefühlt redet jeder von sich aus seiner Sicht, aber niemand hört dem anderen zu oder stellt gute Fragen. Es entsteht keine Resonanz, geschweige denn ein Wir. Ohne Ergebnis gehen alle wieder nach Hause.

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Mit sich allein sein können ist wichtig

Zu Hause setzte ich mich an meinen Schreibtisch und tausend Gedanken gehen mir durch den Kopf. Was ist da eigentlich passiert? War dieser Nachmittag nicht sinnlos, geradezu Zeitverschwendung? Ich fühle mich unverstanden, ohnmächtig und vermisse Verbundenheit. Ob sich die anderen jetzt ebenfalls einsam fühlen? Oder geht das nur mir so? Der Theologe und Philosoph Johannes Hartl sagt in einem Vortrag, dass sein Podcast über das Thema Einsamkeit am meisten aufgerufen wurde. Anscheinend geht es vielen so.

Klar, wenn wir alle unsere Einzigartigkeit hochhalten und auf unsere Sicht der Dinge bestehen, macht das einsam. Einsamkeit gehört dazu. Niemand denkt und fühlt genauso wie ich. Dann kann ich in meinem Ureigenen auch nicht verstanden werden. Vielleicht ist eine der guten Wirkungen der letzten beiden Jahre, dass wir neu gelernt haben, wieder mit uns selbst allein zu sein und zufrieden mit dem, was wir da vorgefunden haben.

Nur gemeinsam wird es gelingen

Ein heftiges Veto meldet sich. Stopp, bitte kein Egotrip. Angesichts der Herausforderungen, die uns als Gesellschaft und als Einzelperson bevorstehen, müssen wir dringend wieder zusammenarbeiten. Ich denke an ein Seminar mit Johannes Hüger über WeQ. Damit ist die „Wir-Intelligenz“ in unserer Gesellschaft gemeint. Er nennt fünf Treiber für die Zukunft: technologische Innovation, Business-Innovationen, gesellschaftliche Veränderungen, Ökologie und Führungsmethoden. Zukunftsforscher unter anderem einer Studie von McKinsey sind sich einig: Wenn wir langfristig das Bestmögliche für die Zukunft erreichen wollen, ist eine entscheidende Fähigkeit, ein gemeinsames Narrativ zu finden. Welche Geschichte möchten wir in fünf Jahren über unsere Stadt, unser Dorf oder unsere Region erzählen? Nur gemeinsam wird es uns gelingen.

Ist das nicht eine Zwickmühle? Einerseits möchten wir nicht noch mehr Verpflichtungen und Termine. Oft wünschen wir uns mehr persönliche Freiheit und weniger Erwartungen und Verbindlichkeiten. Andererseits sehnen wir uns nach Verbundenheit und spüren, dass wir einander brauchen. Welche Bedürfnisse verbinden wir mit dem Wunsch nach Zugehörigkeit, nach Gemeinschaft?

Verbunden durch gemeinsame Interessen

Vielleicht gerate ich in eine Notsituation. Wer wird dann für mich da sein? Für wen möchte ich da sein? Meine Familie und nahestehende Menschen bilden einen sicheren Hafen. Wenn es darauf ankommt, sind wir für einander da. Dieses Gut ist kostbar und braucht gute Pflege.

Auch der Wunsch nach persönlicher Entwicklung sucht Gleichgesinnte. Zu Menschen, die in ähnlichen Bereichen wie ich wachsen möchten, fühle ich eine starke Verbundenheit. Ich erinnere mich, wie ich beim Vorbereiten eines neuen Seminares gedanklich in einer Sackgasse landete. Blackout, mir fiel nichts mehr ein. Ich suchte den Austausch mit Gleichgesinnten. Besonders ein langes Telefongespräch mit einem Kollegen half mir zu neuen Sichtweisen und mein Horizont weitete sich wieder.

Ein großes Vorbild für eine inspirierende Lerngemeinschaft sind für mich die „Inklings“. Den Kern bildeten J. R. R. Tolkien, C. S. Lewis und zwei Intellektuelle, die gute Literatur vermissten. Sie trafen sich regelmäßig im Pub, um über Schriften zu diskutieren, und schrieben dann selbst bedeutende Bücher wie „Die Chroniken von Narnia“. Das berühmteste Werk ist wohl „Herr der Ringe“. Als Rainer und ich vor ein paar Jahren in diesem Pub saßen, stellte ich mir vor, wie sie an manchen Abenden erfrischt, mit neuer Energie und guten Ideen nach Hause gingen. Diese Inspiration beflügelte ihre Arbeit.

Wer kennt nicht die Sehnsucht, mit anderen zusammen ein sinnvolles Ziel zu erreichen? Ich erinnere mich an das Hochgefühl und die Verbundenheit, die ich schon als junge Frau erlebte. Am Anfang stand eine Idee. Wie wäre es, wenn wir für die Kinder und Teenies im Sommer ein Zeltlager auf die Beine stellen? Im Mitarbeiterkreis für die Jugendarbeit wurde aus dieser Idee ein konkretes Ziel. Für Monate fokussierten wir uns auf den Sommer. Jeder brachte seine Möglichkeiten ein und wir erfanden, organisierten und bereiteten vor, was nötig war. Tatsächlich erlebten wir mit über 50 Leuten ein unvergessliches Zeltlager. Bis heute kann ich den Teamgeist spüren.

Wenn wir im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext Lösungen finden und erfolgreich umsetzen wollen, brauchen wir die Kompetenzen von vielen. Gute Teamarbeit wird immer wichtiger. Innovation und fachliche Qualität nehmen zu, je mehr jeder sein Wissen einbringen kann. Ich sehe noch die strahlenden Augen eines Geschäftsführers vor mir. Er erzählt: „In einem längeren Prozess hat sich ein Führungsteam gebildet. Alle verantworten mit ihren Stärken die verschiedenen Bereiche der Firma und arbeiten immer besser zusammen.“

Last, but not least, verdoppelt sich die Freude, wenn wir gemeinsam das Leben genießen. Wie wohltuend ist es, mit guten Freunden wandern zu gehen. Je nach Interesse kann es auch der gemeinsame Kinobesuch sein. Zusammen einen guten Film sehen oder ein leckeres Essen kochen und anschließend schlemmen ist pure Lebensfreude. Vielleicht sitzen wir einfach mit einem Gläschen Wein auf der Terrasse und bestaunen den Sonnenuntergang. 

Gute Gemeinschaft ist spannungsreich

Sicher gibt es noch mehr Gründe, warum wir Gemeinschaft suchen. Nur leider gelingt es nicht immer so, wie wir es uns vorstellen. Es besteht Spannungspotenzial in zwei meiner Meinung nach gleichwertigen Bedürfnissen. Wir suchen nach Verbundenheit einerseits und gleichzeitig möchten wir als individuelle Person gesehen und wertgeschätzt werden. Konflikte bleiben nicht aus. Leicht entstehen überzogene Erwartungen oder eine unverbindliche „Komm ich heut nicht, komm ich morgen“-Mentalität. Sehr hilfreich kann es sein, genau zu schauen, was uns eigentlich verbindet und um was es nicht geht, wenn wir uns treffen oder zusammenarbeiten.

Eine Filmszene half mir zu verstehen, welche Form der Gemeinschaft ich vermisste. Mir ist bewusst, dass ich Teil einer größeren Geschichte bin. Es gibt eine Backstory, eine Geschichte dahinter. Mit dem, was mich ausmacht, möchte ich mich in eine bedeutende Aufgabe einbringen. Das macht mein Leben sinnvoll. Aber mit wem kann ich diese spirituelle Ebene teilen?

Im Film „Herr der Ringe“ finden sich Vertreter aus unterschiedlichen Milieus aus Politik, Handwerk, geistliche Führungskräfte und Interessensgruppen in Rivendell. Das ist ein wunderschöner Ort, ruhig in der Natur gelegen, voller Kunst und Lebensweisheit.

Der Lebensraum dieser Menschen ist von einem großen Krieg bedroht. Die Gefahr ist zum Greifen nahe. Frodo, der Hobbit, kommt verletzt an und findet ein Bett und Pflege. Nachdem er wieder bei Kräften ist, wird eine große Versammlung einberufen. Gemeinsam suchen sie nach Wegen, wie sie diesen Krieg abwenden können. Elron, der Elbenchef, und Gandalf, der Gelehrte, kennen viele Zusammenhänge aus der Backstory. Es wird diskutiert, gestritten, mit den jeweiligen Kompetenzen gespielt und am Ende kommt es zu einer Entscheidung. Neun der anwesenden Vertreter verbünden sich, um die Ursache für die bevorstehende Bedrohung zu vernichten. Diese neun Gefährten werden ausgesendet und machen sich gemeinsam auf den Weg. Sie hoffen auf eine Welt freier Völker und friedliches Miteinander.

Weggefährten sind durch eine Vision verbunden

Gibt es Weggefährten, mit denen ich mich für eine gemeinsame Vision verbünden kann? Diese Frage kam nach der Szene hoch. Mit wem kann ich mich über die aktuellen Fragen zur göttlichen Liebesgeschichte auseinanderzusetzen? Gern möchte ich erleben, wie Gleichgesinnte Schätze teilen, einander Raum geben und einander zuhören. Wie sie Handlungsmöglichkeiten prüfen und entscheiden, was der nächste Schritt ist. Auf Augenhöhe finden geistliche Themen Raum. Gefährten müssen nicht alle Bedürfnisse nach Gemeinschaft abdecken, aber sie machen sich für die gemeinsam definierte Sendung verbindlich.

Die Filmszene von Rivendell hat mich wachgerüttelt. Vor vielen Jahren habe ich mich entschieden, mich für mehr Himmel auf Erden zu engagieren. Dabei inspiriert mich das Bild von Leben, wie es Christus vorgestellt hat. Für mich ist er ein Gesandter des fruchtbaren Lebens. Sein Vorbild zeigt auf, wie gemeinsames Leben gelingen kann. Er selbst ist mit zwölf Gefährten aufgebrochen. Mehr denn je sehe ich darin ein Leitbild für den Umgang mit den aktuellen Herausforderungen.

Vielleicht möchten auch Sie zu einer positiven Zukunftsgestaltung beitragen? Ich mache Ihnen Mut, in Ihrem Umfeld konkret nach Weggefährten zu suchen. Halten Sie Ausschau nach Menschen, mit denen Sie sich verbünden könnten. Menschen, mit denen Sie sich auf Augenhöhe austauschen können.

Mein Traum, der mich seit 15 Jahren bewegt: Wie wäre es, wenn es in Deutschland viele „Gefährtenschaften“ gäbe, die sich gegenseitig unterstützen? Gruppen, die sich gegenseitig unterstützen, ihre Vision umzusetzen. Mir ist bewusst: Gemeinschaft auf Augenhöhe kann ich nur mit wenigen Menschen leben. Doch wenn sich viele kleine Gefährtenschaften etablieren und diese sich wiederum je nach Bedarf miteinander verbinden, kann das sichtbare Auswirkungen haben.

Seit 16 Jahren leben Rainer und ich mit anderen Menschen in einer Gefährtenschaft. In dieser Zeit gab es etliche Höhen und Tiefen. Meine Erfahrungen würde ich gern mit Ihnen teilen. Am 2. Dezember 2022 biete ich ein Entdecker-Wochenende für alle Interessierten an. Vielleicht können wir gegenseitig voneinander lernen, wie wir Weggefährten finden und ein gutes Maß an Gemeinschaft leben.


Ilona Dörr-Wälde