Wir sind auf’s Land gezogen und erleben in unserem neuen Heimatort ein noch existierendes Vereinsleben. Zwar kämpfen viele Vereine mit dem Nachwuchs, aber dennoch gibt es so etwas wie ein Zusammenhalt.

Foto: Jonathan Linker

Die Zeit der Individuellen Freiheit

Vor vielen Jahren bin ich von meinem Heimatdorf weggezogen. Damals fühlte ich mich oft, vereinnahmt und mehr und mehr wurden mir die klaren Vorstellungen davon, was geht und was nicht; wer ich als Mädchen bin oder nicht, zu eng. Es drängte mich in die große weite Welt, auf der Suche nach erfülltem Leben. Ich wollte herausfinden wer ich wirklich bin. Sicher im Grunde ist das ein ganz normaler Entwicklungsschritt und dennoch begann mit meiner Generation eine Zeitphase, in der viele ihre individuelle Entwicklung ausleben konnten wie selten zuvor. Auch die Erwachsenenbildung legt den Focus auf die Selbstkompetenz. Jeder soll möglichst sein Potential optimal entfalten und somit einen professionellen Beitrag in der Wirtschaft leisten. Worte wie Selbstfürsorge, Selbstwert, Selbststeuerung u.v.m. füllen die Seminarausschreibungen. 

Die Sehnsucht nach intakten Vereinsleben

Beim Dorffest der Freiwilligen Feuerwehr, schildert mir ein engagierter älterer Herr, der mindestens in drei weiteren Vereinen aktiv mitarbeitet und sich für das Allgemeinwohl einsetzt, seine Sorge: „Es kommen halt keine Jungen nach. Wie soll das weitergehen, wenn sich keiner mehr für das soziale Leben im Dorf einsetzt? Wie wird das, wenn wir mal alt sind?“ Seine Sorge kann ich gut verstehen. Einerseits spüre ich Respekt für sein Engagement und andererseits beschleicht mich ein merkwürdiges Gefühl. Da war sie wieder diese Enge. Fast habe ich ein schlechtes Gewissen, dass ich ein anderes Lebenskonzept verfolge und mich nur im Chor engagiere. 

Die Zwickmühle zwischen Freiheit und Sicherheit

Es scheint eine Zwickmühle zu sein. Ich lebe sehr gerne im Dorf und möchte Gemeinschaft leben. Auch in aktuellen Artikeln und Büchern finde ich eine neue Sehnsucht nach Verbundenheit. Mich faszinieren Geschichten über gemeinsames Leben in Echtzeit. Die Co-Working Spaces sind ein Beispiel davon. Zusammengehörigkeit gibt Sicherheit und weckt neue kreative Kräfte. 

Gleichzeitig frage ich mich, wie kann der Aufbruch zum Wir gelingen, wenn ich meine individuelle Freiheit sehr schätze und nüchtern betrachtet die Erfahrungen von beglückender Gemeinschaft auf kostbare Momente beschränkt sind. Kann ich als Original, als einzigartige Persönlichkeit frei von Gruppenzwang und überzogenen Erwartungen tiefe Gemeinschaft erleben. Oder schließt das eine das andere aus?

Das Experiment

Mit einer bunt zusammengewürfelten Gruppe verbringe ich vier Tage am Chiemsee. Wir suchen die Abgeschiedenheit. Jeder hat sein eigenes Thema. Wir wollen alle mal raus, um Zeit für sich selbst zu haben und gleichzeitig wollen wir nicht allein sein.

Die Mahlzeiten und den Abend verbringen wir zusammen. Die restliche Zeit ist jeder für sich. Die praktische Arbeit teilen wir untereinander auf. Am Ende dieser vier Tage bin ich ein großes Stück in meinem Buch weitergekommen, fühlte mich als Person gestärkt und habe tiefe Gemeinschaft erlebt. 

Die sieben Erkenntnisse, wie Verbundenheit in Freiheit gelingt

Auf der Rückfahrt denke ich nach und komme zu folgenden Erkenntnissen:

  1. Menschen haben mir wirklich zugehört. Sie haben sich in meine Lage versetzt und mich ausreden lassen.
  2. Menschen haben mir aus echtem Interesse Fragen gestellt.
  3. Beim Gegenseitigen zuhören und Fragenstellen kamen wir uns näher von Herz zu Herz.
  4. Wir entdeckten gemeinsame Ziele und spürten eine kreative Kraft, die nach vorne drängt.
  5. Kreative Ideen entstanden ganz spielerisch und führten zu neuen Möglichkeiten
  6. Wir teilten jeder was er hatte fast wie von selbst.
  7. Wir haben gegeben und genommen und am Ende sind wir sowohl an unseren individuellen Themen gewachsen als auch als Gruppe zusammengewachsen.

Es ist also gar nicht so schwer zum Wir aufzubrechen. Beginnen Sie einfach, in dem Sie Ihrem Gegenüber zuhören, ohne in Ihren eigenen Erwartungen gefangen zu sein. Lassen Sie sich tatsächlich auf die Welt des anderen ein.

Ich bin sicher, wenn sich Herz und Herz begegnen eröffnen sich neue Möglichkeiten.

Nutzen Sie die Chance zur Begegnung von Herz zu Herz und finden Sie Gemeinschaft auf dem Gutshof.


Ilona Dörr-Wälde