Heute ist der Himmel besonders blau. Nachdem es wochenlang geregnet hat, komme ich aus der Wohnung und bleibe automatisch stehen. Für einige Momente schaue ich wie gebannt nach oben. Eine unbeschreibliche Freude durchströmt mich. Ich fühle mich präsent, klar und ausgerichtet. Beschwingt gehe ich ins Seminarhaus zu unserem Team-Treffen.

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Bäume wachsen dem Licht entgegen

Dieser Moment hat sich tief eingeprägt. Er löst eine Frage aus: Welche Wirkung hat eigentlich der Blickwinkel auf die Stabilität durch „bewölkte Zeiten“? Seit Januar bot sich jeden Morgen dasselbe Bild. Wenn ich von meinem Büro aus dem Fenster schaute, war es grau, düster, regnerisch und selbst im Büro konnte ich die nasskalte Atmosphäre spüren. Manchmal wäre ich am liebsten wieder ins Bett gegangen und hätte mich in die warme Decke gekuschelt.

In meiner Blickrichtung stehen auch einige Bäume. Um diese Jahreszeit sind die kahl und kein grünes Blatt ist an ihnen zu sehen. Doch sie stehen da, aufrecht und wachsen gen Himmel. Sie ändern ihre Wuchsrichtung nicht, egal, was gerade um sie herum los ist. Klar, die können ja nicht anders. Die Wuchsrichtung dem Himmel entgegen ist in ihrer DNA verankert. Zwei von ihnen haben leider im letzten Jahr dem Sturm nicht standgehalten. Sie sind umgefallen. Einigen sieht man auch Witterungsspuren an. Aber zu keiner Zeit haben sie ihre Wuchsrichtung geändert, sie wachsen dem Licht entgegen.

Energie folgt, wohin ich meine Aufmerksamkeit richte

Sie erinnern mich an die bekannte Aussage: „Energy flows, where attention goes.“ Die Wetterlage kann ich nicht beeinflussen. Die ist wie sie ist. Aber wie sie sich auf mein Verhalten auswirkt, hat tatsächlich damit zu tun, wo ich hinschaue und auf was ich mich ausrichte. Wie ist mein innerer Kompass ausgerichtet? Sehe ich nur das, was vor Augen ist, oder sehe ich das Licht hinter den Wolken?

Die letzten Jahre erlebe ich wie einen Test. Wenn der Alltag in der sich verändernden Welt sehr viel abverlangt, kristallisiert sich heraus, was hält und trägt. Ich nehme mir mehr Zeit in der Natur. Es beeindruckt mich, wie die organische Natur in aller Anfälligkeit ihre Lebenskraft behält.

Der Anblick der umgefallenen Fichten, die durch Borkenkäfer und andere negative Umstände ihren Halt verloren haben, macht traurig. Ein paar Wochen später sprießen neue Pflanzen aus dem Boden. Der Tod hat nicht das letzte Wort. In den Samen steckt neues Leben. Nach meinem Verständnis erkenne ich darin das Wesen Gottes. Die ursprüngliche Energie, die alles, was lebt, hervorgebracht hat, ist ewig lebendig. Dieser Blickwinkel trägt.

Der Ursprung aller Dinge zeigt uns die passende Blickrichtung

Diese Energie ist nicht nur eine multiplikative Lebenskraft, sondern ein persönlich ansprechbarer, liebender Vater. Ein Mann namens Jesus stellte uns die Schöpferkraft als Vater vor. Er sagte, dass ihn der Vater gesandt hat, um uns die Blickrichtung zu zeigen, die auf den Himmel ausgerichtet ist. Er sagte, wer meinen Reden zuhört und mir vertraut, wird herausfinden, auf was es im Leben ankommt. Deshalb habe ich die Bücher in der Bibel, die von seiner Biografie und seinen Reden berichten, mit neuem Interesse gelesen. Nicht so sehr als Theologin, sondern einfach als Mensch, mit all den Gefühlen und Herausforderungen, in denen ich stecke.

Ein Beispiel erlebte ich während der Coronazeit. Enge Freunde reagierten auf die Coronasituation sehr unterschiedlich. Es wurde sehr kontrovers. In der Intensität hatte ich das schon lange nicht mehr erlebt. Schnell bestand die Gefahr, nicht nur die Einstellung des anderen zu kritisieren, sondern ihn als Menschen zu verurteilen.

Jesus sagte in seiner berühmten Rede auf dem Berg sinngemäß, wenn du deinen Bruder einen Idioten nennst, ist das genauso zu belangen, wie wenn du ihn umbringst. Mir hat es geholfen, bei den Auseinandersetzungen immer wieder auf die Würde der jeweiligen Person zu schauen und meine negative Haltung loszulassen. Wir sind teilweise immer noch unterschiedlicher Meinung. Gleichzeitig haben wir erlebt, wie sich Vertrauen erneuert durch den göttlichen Einfluss.

Stabil bleiben und wachsen in stürmischen Zeiten

Der Blickwinkel ist entscheidend. Setze ich auf kurzfristige Urteile und gesellschaftliche Meinungen oder orientiere ich mich unbeirrt an dem unvergänglichen, guten Leben? Die zentrale Botschaft Jesu war, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Ähnlich wie wir wissen, dass hinter den Wolken die Sonne ist, ist das göttliche Ökosystem gegenwärtig. Meine innere Haltung macht den Unterschied. Schnelles Verurteilen, Selbstanklage und übertriebene Erwartungen an mich und andere verdunkeln und machen eng.

Ganz neu wird mir bewusst, dass meine Entscheidungen und Handlungen Auswirkungen haben auf die Welt von morgen. Deshalb versuche ich, gute Erinnerungen zu pflegen und mit Bildern des Himmels meine Vorstellungskraft zu füllen. Mein Vertrauen in Jesus ist gewachsen. Seiner Sichtweise zu folgen, stärkt meine Stabilität und lässt mich wachsen, trotz der Sturmschäden, die ich ebenfalls spüre.

Mit den Schlussworten von der Rede auf dem Berg, möchte ich meine Gedanken abschließen: Darum, wer diese meine Rede hört und tut, er gleicht einem klugen Mann (einer klugen Frau), der sein Haus auf Felsen baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Felsen gegründet.


Ilona Dörr-Wälde