Beim Schlendern durch die ausgestorbene Fußgängerzone lese ich diesen Satz. “An Gottes Segen ist alles gelegen”. Er spricht mich auf eine merkwürdige Weise an. Warum haben Menschen in früheren Zeiten so einen Spruch über ihren Hauseingang geschrieben?

Segen
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Wie gelingt ein sinntragendes Leben?

Zu Hause forsche ich nach und finde heraus, wahrscheinlich hat sie ein Liedvers aus Psalm 127, einem biblischen Liederbuch, inspiriert: „Der Herr selbst muss das Haus bauen, sonst arbeiten die Bauleute vergeblich.“ Sie haben einen erfolgreichen Hausbau mit dem Segen Gottes verbunden.

Meine Aufmerksamkeit bleibt bei dem Wort Segen hängen. Vor ein paar Wochen habe ich das Buch „Gottes Energie: Die Neuausrichtung unseres Gottesbildes“ von Christian A. Schwarz gelesen. Er schreibt unter anderem eine sehr gute Zusammenfassung zum Thema Segen. Darin zitiert er den Theologen Martin Leuchenberger, der Segen wie folgt beschreibt:

„Ein glückendes und gelingendes, gutes und sinntragendes Leben stellt wohl das zeit- und kulturübergreifend grundlegendste Ziel von Menschen dar, das sie für sich selbst und andere nach Kräften wünschen und erstreben, ohne es freilich je ganz in der eigenen Hand zu haben. Die ein solches Leben dynamisch tragende, sichernde und steigernde ‚Energie‘ bildet typischerweise den Kern dessen, was man unter Segen versteht.“

Wow dachte ich, ganz schön abstrakt und doch spricht es gerade in diesen Tagen meine Sehnsucht an. Ich wünsche mir ein erfülltes Leben und will nicht mehr darauf warten, bis alles wieder öffnet, bis die Corona-Einschränkungen aufgehoben werden. Bis irgendwann dann mal in ferner Zukunft alles wieder möglich ist.

Die aufblühende Natur verströmt Energie

Die Sonne und die Frühlingsluft bringen das müde Herz wieder in Bewegung. Ist es Segen, der spürbar wird? Die Kraniche kommen aus dem Süden zurück. Auf dem Baum vor unserem Schlafzimmerfenster tummeln sich immer mehr Vögel und bauen ihre Nester. An den Hortensien wachsen die ersten Knospen. Alles verströmt Energie und bald wird es blühen, wachsen und reifen.

In der sichtbaren Welt zeigt sich die unsichtbare ewige Wirklichkeit, die ich Gott nenne. Christian A. Schwarz schreibt: „Segen lässt sich als Erfahrung von Gottes wirkmächtigem Dasein und Dabeisein beschreiben.“ Wenn wir inmitten unserer täglichen Routinen etwas Beglückendes erleben, das wir nicht selbst hervorgebracht haben, kann dies zu einer tief berührenden Erfahrung werden. Wir erleben sozusagen ein Stück Himmel auf Erden.

Auch wenn im beruflichen und sozialen Leben manches weggebrochen ist, spüre ich diese innere Kraft der Seele als beglückend. Vielleicht hat mich gerade jemand gesegnet und dadurch für mich eine Brücke geschaffen zum erfüllten Leben.

In den letzten Monaten erlebte ich immer wieder diese umwandelnde Kraft nicht nur im inneren, sondern auch ganz praktisch. Im Januar war unser Gutshofteam von sieben auf drei Person geschrumpft. Voraussichtlich würden unsere Räume bis Anfang März leer stehen.

Ganz unerwartet buchte ein befreundetes Unternehmerehepaar unsere Räume für ihre Mitarbeiterschulungen. Hier hatten sie genügend Abstand und konnten die Veranstaltungen hybrid durchführen. Sie versprühten diese „Jahresstartenergie“. Das steckte an. Im Februar wollten Ganskys auf den Gutshof ziehen, um das Gästehaus zu übernehmen. Sie kamen schon im Januar und im Büro und in der Küche begann neues Leben. Mehr oder minder geschah das alles wie von selbst. Ich fühle mich gesegnet. Menschen voller Tatendrang geben Lebenskraft weiter und erfüllen uns mit Energie.

Neue Lebenskraft, um zu wachsen

Ganz regelkonform besuche ich allein einen Haushalt. Wir sitzen mit Abstand am großen Tisch. Auch ohne Umarmung fließt Segen. Bei der Verabschiedung sagt die Freundin ganz unerwartet: „Du bist für mich eine gute Freundin.“ Es kam tief aus dem Herzen und belebte mich für den restlichen Tag.

Mein Resümee ist: Segen fließt aus der göttlichen Quelle und spendet Lebenskraft, um zu wachsen, zu reifen und Früchte zu ernten. Dieses Geschenk kann empfangen und weitergegeben werden. Das stellt sich die Frage: „Wie kann Segen weitergegeben werden?“

Im biblischen Kontext werden fortwährend wirksame Schöpfungskräfte über Worte weitergegeben. Berühmt ist der sogenannte Aaronitische Segen:

„Der ‚ich bin‘ segne dich und behüte dich;
Der ‚ich bin‘ lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig;
Der ‚ich bin‘ hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.“

Gott wirkt durch die Worte des Sprechers zu den Hörenden. Symbole und Gesten wie eine Umarmung, Berührung mit den Händen oder ausgebreitete Hände (auch ohne Berührung) können Energieübermittler sein. Durch beglückende Handlungen kann Segenskraft fließen.

Ich habe einen Traum

Dabei stelle ich mir vor, wie an vielen Orten fünf bis zehn Personen eine Segensgemeinschaft bilden. Ein- oder zweimal am Tag denken, sprechen oder handeln sie segnend füreinander. Ähnlich wie das digitale Netz spannt sich ein Energienetz aus in der Region oder dem ganzen Land. Die einzelnen erfahren immer neu innere Frische, spüren Trost in den Verlusten, entdecken Möglichkeiten für zielführendes Handeln und die Kraft, manches umzusetzen. Gutes Leben breitet sich aus.

Wir haben damit vor einigen Jahren ganz klein angefangen. Montags bis freitags ziehen wir jeweils vier Zettel aus einem Korb. Auf den Zetteln stehen Namen von Weggefährten, Kunden und Menschen aus dem Dorf. Wir werden still und vergegenwärtigen uns die göttliche Liebe. Wir stellen uns die jeweilige Person in unserem inneren Auge vor und hören hin, was uns für sie einfällt. Dann sprechen wir diese Worte segnend aus. Manchmal schreiben wir anschließend eine kurze E-Mail mit ein paar Gedanken. Damit haben wir schon interessante Erfahrungen gemacht.

Es würde mich freuen, wenn ich Sie anstecken könnte, aufmerksam Segen zu empfangen und, wo es passt, Segen weiterzugeben. Vielleicht kommen Ihnen gute Ideen, wie Sie Menschen erfrischen können. Gern würde ich mich mit Ihnen darüber austauschen und wünsche Ihnen von Herzen viel Lebenskraft für Ihren „Lebenshausbau“.


Ilona Dörr-Wälde