Während ich einen Schluck Kaffee trinke, schweifen meine Blicke über die herrlichen Rosenblüten. Ihr betörender Duft dringt in meine Nase und ich bin einfach glücklich. Rainer und ich sind am Sonntagmorgen mit einem Korb leckerer Sachen über den Hof zu dem Rosenbeet gegangen. Wir decken den Tisch und geniesen unser Frühstück im Rosengarten.

Englischer Rosengarten im Gutshof

Erinnerungen beim Rosenfrühstück

Meine Gedanken schweifen zurück in den April. Um die Osterzeit müssen die Rosen zurückgeschnitten werden. Ich erinnere mich daran, wie aufgeregt ich war. Diese Aufgabe hat mich sehr herausgefordert. Nicht so gern nehme ich etwas weg.

Eine lebendige Pflanze abschneiden hat etwas sehr Endgültiges und Schmerzhaftes. Aber wenn man die Rosen nicht schneidet, schadet es ihnen auch und sie können nicht ihre volle Kraft entfalten. Also holte ich mir Rat von Fachleuten.

Es kommt auf den richtigen Zeitpunkt an

Erika aus dem Dorf hat im Gegensatz zu mir viele Jahre Erfahrung in der Rosenpflege. Ich bin Anfängerin und schneide erst zum zweiten Mal die Rosen. Von ihr habe ich gelernt, dass es auf den richtigen Zeitpunkt ankommt.

Wenn die Forsythien blühen, ist es so weit. Sie geben einen zuverlässigen Hinweis, dass die Frostzeit zu Ende ist. Denn wenn die Rosen zu früh geschnitten werden, besteht die Gefahr, dass sie Frostschaden nehmen.

Es kommt auf die richtige Stelle an

Wegen der langen Kälte beginne ich recht spät mit dem Schnitt. Von den Züchtern in Steinsfurt habe ich gelernt, dass es darauf ankommt, alles Alte sorgfältig abzunehmen. Die alten Blätter werden abgebrochen, ohne den Stamm zu verletzten. Die abgestorbenen Triebe und alles was zu dünn ist oder sich gegenseitig behindert muss abgeschnitten werden.

Dann werden die gesunden und stabilen Triebe an einer ganz bestimmten Stelle gekürzt. Oberhalb eines sogenannten Auges schneide ich also leicht schräg jeden Trieb ab. Es kommt auf die richtige Stelle an. Die sogenannten Augen enthalten bereits die neuen Triebe, die dann bei guten Wetterbedingungen wachsen und die Blüten hervorbringen.

Ganz schön radikal

Offengesagt bin ich unglaublich aufgeregt und brauche Stunden für diese Arbeit. Schließlich will ich keine Fehler machen und nicht dazu beitragen, dass die Rosen eingehen oder Krankheiten bekommen. Auf halber Strecke räume ich die Schere wieder auf und denke an meinen Bruder, der bald vorbeikommen wird, um mit meiner Schwägerin beim Waldbaden dabei zu sein.

Ich beschließe, dass ich ihn nochmal fragen will, ob das alles so passt. Denn auch er ist erfahren in der Rosenpflege. Er begutachtet meine Arbeit und meint, du musst noch mehr abschneiden. Das fordert mich heraus, denn jeder Schnitt ist unwiederbringlich. Für mich fühlt sich das sehr radikal an. Trotzdem mache ich es.

Die göttliche Lebenskraft lässt wachsen und blühen.

Jetzt sitze ich hier, betrachte dieses wunderschöne Rosenbeet und bin tief zufrieden. Die anstrengende Arbeit hat sich gelohnt. Plötzlich kommen mir Assoziationen zu unserer aktuellen Lebenssituation. Welche Kraft steckt in der Natur.

Selbst wenn das Unwetter Schaden anrichtet, oder ich nicht alles richtig mache, wachsen neue Triebe und bringen Blüten und Früchte hervor. In den letzten Monaten ist viel weggebrochen, abgestorben oder in den Ruhemodus versetzt worden. Kann ich nicht genauso darauf vertrauen, dass die göttliche Lebenskraft Neues wachsen lässt.

Mich liebevoll beschneiden lassen

Wir leben in einer Zeit der Veränderung. Die Lebenskraft ist uns geschenkt. Immer wieder habe ich die erneuernde Energie erlebt. Wenn es an der Zeit ist, müssen verwelkte Vorstellungen liebevoll abgezupft werden. Das Erfrorene und Tote gilt es loszulassen. Dann wird der Weg frei für die neuen fruchtbringenden Wege.

Der passende Zeitpunkt ist sehr wichtig, damit wir keine Prozesse stören, die zum Leben führen. Wenn sich Gelassenheit einstellt mit dem, wie es ist, ist das ein sicheres Zeichen. Jetzt kann das nicht mehr Nötige weggenommen werden, ohne die ureigene Identität zu verletzen.

An der richtigen Stelle und im guten Maß

Wichtig ist es, unsere Aufmerksamkeit auf Anzeichen der Hoffnung zu richten. Da gilt es schon genau hinzusehen. Plötzlich keimen neue Möglichkeiten auf. Meine Vermutung ist, wenn wir am Alten festhalten, haben wir die Hände nicht frei für das was jetzt kommen will.

Selbstverständlich bleiben die tragenden Säulen unseres Lebens bestehen. Durch sie fließt Gottes Lebenskraft. Deshalb brauchen wir ein gutes Maß zwischen dem Stabilen und Tragenden und dem was jetzt neu zu gestalten ist. An manchen Punkten mag es radikal sein, Altes abzuschneiden. Doch denken Sie an die Schönheit dessen was zu seiner Zeit wachsen wird.

Hoffnung führt zum Genuss

An diesem Morgen genießen wir unser Frühstück bei den prachtvoll blühenden Rosen und ich vertraue mich dieser Lebenskraft ganz neu an. Ich spüre tiefe Dankbarkeit. Auch wenn ich noch nicht sehen kann, wie unsere Akademie im kommenden Jahr aussehen wird, hoffe ich auf geöffnete Augen.

Ich will die die neuen Wege sehen und den Mut haben, die notwendigen Schritte zu tun. Gerne möchte ich mit Dir darüber ins Gespräch kommen und vielleicht können wir voneinander lernen. Vielleicht passt es noch ganz spontan im Juli für ein Wochenende oder eine Woche auf den Gutshof zu kommen.


Ilona Dörr-Wälde